Sonntag, 12. Mai 2013

Etappe 8: Sunday Roast mit lokaler, betagter Gemeinde.

Von Ecclefechan nach Glasgow.

Wir wachten im herrschaftlichen Häuschen auf und frühstückten im herrschaftlichen Festsaal. Auch das Wetter war angemessen. Vor dem Fenster strahlte feinster blauer Himmel. Ein paar Tische neben uns erzählte ein Belgier den interessierten, betagten schottischen Hotelgästen, dass er ja gerade das End2End mit seinem Fahrrad fährt. Wir machten lange Ohren während wir weiter kalorienreiche Kost in uns hineinfrühstückten.

Irgendwann war dann auch das größte Frühstück alle – leider gleichzeitig auch der blaue Himmel vor dem Fenster. Regen allerdings war dafür noch genug da. Der reichte genau genommen für den ganzen Tag. Aber das wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Wir sattelten also erstmal auf – zeitgleich mit dem Belgier – und fuhren ihm in nullkommanix davon. Aber so ein richtiges Kunststück war das auch nicht: Er war mit Taschen und Zelt unterwegs. Da darf man schon mal langsamer sein.

Es ging immer direkt nach Norden. Zunächst mussten wir ja noch die Strecke abreißen, die wir am Vortag geknickt hatten. Nach zehn Kilometern fuhren wir an Lockerbie vorbei; weitere 25 Kilometer später an Moffat. Dann erst begann die echte Tagesetappe. Aber weder vor noch hinter Moffat war es wirklich schön. Vom Nieseldauerregen erzählte ich ja bereits. Hinzu kam, dass die Strecke immer stoisch neben der Autobahn entlang lief. Das war etwas langweilig. Als Ausgleich und damit es auch wirklich wenig Spaß machte, gingen die Lowlands immer bergauf.

Ab zwölf ging dann die Mittagssuche los. Das war dieses Mal gar nicht so einfach. Schienen wir doch im Autobahnen-Nowhere’s-Land zu sein. Bei Kilometer 60 dann ein Lichtblick: Da schien ein Örtchen mit mehr als zwei Häusern zu kommen: Abington. Hier würde es ja wohl Gastronomie geben!

Gab es! Aber ganz anders als wir erwartet hätten. Wir vollbremsten an einem kleinen Kreideschild, auf dem stand: „Abington Hotel: Sunday Roast“. Hui, gleich so etwas Traditionelles! Wir schüttelten die nassen Regentropfen aus den Haaren, stellten die versifften Fahrräder vors Hotel und traten schmutzbesudelt ein. Zum Glück zeigten sich die Schotten wie die Engländer: unbeeindruckt von unseren Matschhöschen. Auch sie zuckten nicht, als wir alles Ausziehbare auf den (natürlich kaum aufgedrehten) Heizungen verteilten und uns siffig wie wir waren in die Ledersitze drückten.

Es gab eigentlich nur eines, das ihnen wirklich wichtig war: Mittag gab es erst ab Punkt 13 Uhr. Vorher nicht. Also beobachteten wir, wie die Gemeinde nach und nach eintraf. Und mit „Gemeinde“ meine ich: die betagte Gemeinde. Wir drückten den Altersschnitt vermutlich gewaltig im Abington Hotel an diesem Sonntag. Aber das machte nichts – alle nahmen uns gleich in ihren erlauchten Kreis auf: Man beäugte uns, fragte, wo wir herkamen, setzte sich zu uns, verwickelte uns in ein Gespräch.

Dabei sahen die Lokalitäten aus als hätten sie ihren Sonntagsausgeh-Anzug aus dem Schrank geholt während wir immer noch wie die Halunken vor uns hin tropften. Wir machten Bekanntschaft mit Opa Macbride – mindestens 103 Jahre alt – der sich mit seinen Krücken in der Tür verfing und klapprig zu Boden fiel. Gern ließ er sich von uns aufhelfen. Und wir lernten Andrew kennen, der die Tour, also „unsere“, vor 60 Jahren machte. Damals sei er so 16 oder 17 gewesen und die langweilige Straße, die wir den ganzen Tag schon langgeradelt waren, wurde gerade zweispurig ausgebaut – und später dann sogar zur Autobahn.

Andrew hatte noch ein paar schöne Anekdoten auf Lager. Am Ende gab er uns noch mit: „If you don’t like the weather in Scotland – wait five minutes.“ Gern hätten wir das getan; aber wir warteten ja nun wirklich schon seit Tagen drauf, dass sich die Sonne gegen die Regenfront durchbeißen würde …

Aber all das war egal, als die Uhr 13 schlug und Leben in die Bude kam: Plötzlich sprangen alle auf und wackelten in Richtung Essenssaal. Hier waren lange Tischreihen aufgebaut, die Kellnerin fragte uns nach unseren Vornamen – denn so wurde hier am Ende abgerechnet. Nachdem sich jeder ein Plätzchen gesichert hatte, ging es gleich weiter: die besten Plätze am Buffet waren gefragt. Man musste in der Tat genau hinsehen, dass man nichts falsch machte und das Protokoll beachtete. Und so trotteten wir immer den Massen hinterher: aufgeregt und hungrig.

Am Buffet schnippelte der Koch verschiedene Fleischsorten aufs Tellerchen – solange bis die Augen „Halt! Stop!“ flehten. Bei mir etwas eher, bei der Liebe etwas später. Als wir gerade mit vollen Tellern zurück zu unserem Platz kamen, trafen wir den bezelteten Belgier wieder. Der sah genau so verregnet und hungrig aus wie wir und wir smalltalkten ein bisschen bevor der Hunger jede weitere Konversation unterband und wir uns aufs Wesentliche konzentrierten: Sunday Roast.

Ausgehungert ein echtes Stück britische Tradition genossen: Sunday Roast.

Der Nachtisch rollerte auf einem Trolly an uns vorbei und war leider unmöglich noch zu schaffen. Ich tippte auf 4.000 kcal und lehnte (erstaunlicherweise) ab. Wir zahlten mit unserem Vornamen, winkten dem Belgier und begaben uns wieder neben unsere Autobahn. Im Regen.

Immer geradeaus. Immer im Regen. Immer links neben der Autobahn …

… zum Glück waren wir nicht allein. Was hier so gemütlich aussieht, war eigentlich panische Flucht vor uns. Nach Schafslogik allerdings immer vor uns her anstatt zur Seite zu hoppeln.

Fünfundzwanzig Kilometer vor Glasgow leisteten wir uns noch mal eine kurze Pub-mit-Fußball-und-Tee-aber-ohne-Gebäck-Pause. Und selbst nach dem Tee musste er erstmal eine Weile suchen …

Die Glasgower Vororte hatten wenig Berichtenswertes. Es waren auch wirklich keine Reichen-Gegenden. Aber die letzten zehn Kilometer nach Glasgow hatten die Schotten sich was Feines ausgedacht: Bester Radweg mitten durch die Natur – MIT Sonne! Unglaublich. Man fuhr bis in die Innenstadt durch Parks und Waldanlagen. Kein Gehupe, kein Stress, nur grün.

Haben sie wirklich schön gemacht, die Glasgower: Der Fahrradweg in die Stadt hinein.

Wir fragten uns in der Innenstadt nach einem geeigneten Dach über dem Kopf durch und wurden an das Milleniumhotel am St. Georges Square verwiesen. Dinner im Wintergarten mit Blick auf die Altstadt. Paddington freute sich – und wir auch.

Beste Aussichten nach einem verregneten Tag mit Straßen, die immer nur geradeaus gingen.

Es gab Pizza und – Banoffee-Pie zum Abendessen! Einziger Wermutstropfen: Getrennte Betten. Schluchz! Die Liebe sagte am nächsten Morgen, sie habe hervorragend geschlafen. Sauerei!

Hier wurde Banoffee-Pie serviert!

Fazit: Ein echtes, traditionelles Sunday Roast muss man unbedingt mal mitgemacht haben. Auch wenn man dafür den ganzen Tag im Regen unterwegs war.

Unterkunft
Millennium Hotel Glasgow
George Square
Glasgow
G2 1DS

Unterwegs
The Abington Hotel

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