Samstag, 11. Mai 2013

Etappe 7: Die Schönheit von Kälte und Regen.

Von Ambleside nach Ecclefechan in Schottland.

Wir erwachen in unserer schönen Pfarrerei mit Riesen-Kirchenfenster und Eulen-Plüsch neben dem Bett. Nach einem angemessenen Frühstück – während dem wir dem Nieselregen vor dem Fenster beim nieselig regnen zusehen und vergeblich auf Besserung hoffen – schnappen wir uns unsere Sachen und holen die Räder aus dem Schuppen.

Vor dem Schuppen schrauben schon zwei Deutsche – ein erwachsener Sohn und sein in die Jahre gekommener, aber topfitter Vati – ihre Ausflugs-Rennräder zusammen. Bei dem Wetter freiwillig eine Runde drehen? Zum Glück konnten wir die Frage ganz in Ruhe von allen Seiten beleuchten und besprechen: Das kleine Storck hatte schon wieder einen Platten und so schraubten wir zu viert unter so einer Art Carport. Schön, dann hatte das Wetter ja noch etwas Zeit aufzuhellen.

Hatte es aber keine Lust zu.

Wir legten unseren letzten Ersatzschlauch an. Zum Glück war gleich unten an der Straße ein kleiner Fahrradladen. Und „klein“ war wirklich ernst gemeint. Da hätte normal höchstens ein Kunde reingepasst. Nun regnete es aber und es waren eine Menge Fahrradfahrer unterwegs. Entsprechend war der Laden, der kleine, bereits mit sieben Rennradlern invasiert, die auf besseres Wetter warteten. Kuschelig.

Zwischen den Trikot- und Helmmassen fragte die Liebe in Richtung wo der Verkäufer zu vermuten war, wie es denn mit Schläuchen aussah. Das, was wir wollten, gab es nicht und so kauften wir dem Mann nur etwas Luft und einen Satz Bremsen (Regen + Matsch + Berge + schief eingebautes Rad = Bremsen schon ziemlich hinüber) ab. Wir pläuschten noch kurz mit den Rennradausflüglern: „Where are you heading to?“ – „Scotland today“ – „Scotland? Well, that’s a bit! And in that rain! Are you sure?“ „Yiep. We gotta reach Scotland today. Otherwise we’d be behind schedule.” “Well, enjoy! We are just off for a little Saturday tour.” “Good luck!”

Und schon machten wir los. Kurz vor Ortsausgang gab es noch einen ordentlich kommerziellen, entsprechend großen und gut ausgestatteten Fahrradladen. Hier füllten wir unsere Schlauchvorräte auf. Als wir rauskamen, hatte sich eine Männergruppe um mein Rad gescharrt und diskutierte. Als ich näher kam, weiten sie mich ein ins heiß diskutierte Thema: Wie gut denn nun das Garmin Edge 800 sei. Oh! Na, da hatte ich ja eine Geschichte zu erzählen. Ich schimpfte also los: So ein Schrott! Geht einfach aus, verliert die Strecke und die Daten. Blöder Mist! Geht gar nicht!

Die Liebe schaute etwas entgeistert, die Männergruppe stellte das Diskutieren ein und entfernte sich schweigend von der keifenden Deutschen. „Das war nicht nett,“ sagte die Liebe. Ich: „??“. Er: „Na der eine hat sich doch gerade das Garmin 800 gekauft und freue sich schon, es auszuprobieren.“ Ich, kleinlaut: „Ups. Das habe ich gar nicht gehört.“

Der Tag hat noch nicht einmal richtig begonnen und wir haben schon die Duschhauben auf. Willkommen, England!

Zum Glück mussten wir ohnehin weiter. Und was uns erwartete war fast ein Traum! Der Lake District ist so irre schön. Leider, leider war es kein Fotowetter. So gibt es kaum Beweise. Und die ungerechte verregnete Schönheit war auch nur zu ertragen, weil ich mir in dem Moment versprach: Ich muss wiederkommen! Mit Mutti. Wir wollten ja ohnehin noch einmal nach England. Und meine kleine Rundreise war ja quasi sowas wie der Spähtrupp: Wo war es schön? Wohin wollten wir noch einmal zu zweit? Jetzt hatte ich die Antwort: Lake District musst es sein.

Wir schraubten uns 12 Kilometer lang auf den wunderschönen Dunmail-Pass hinauf. Wenn es nur nicht so regnen würde! Zumindest machten wir hier mal einen Zwischenstopp. Sonst würde uns ja niemand glauben, wie schön es hier war. Außerdem pumpten wir wie die Maikäfer. Man wird ja auch nicht richtig warm bei so einem Wetter.

Wie hingemalt: Dunmail-Pass oben.

Die Kamera fand’s auch … nass.

Wo es 12 Kilometer bergauf geht, muss es auch wieder 17 Kilometer bergab gehen. Wenn es nur nicht so regnen würde! Und so wurde aus „Yeah! Abfahrt!“ ein Erfrieren während einem der Regen ins Gesicht peitschte und die Klamotten bis auf die Knochen nass waren. Da wird Fahrtwind sehr schnell sehr unangenehm und die Liebe ging sehr schnell hinter mir sehr kaputt.

Nichtsdestotrotz bemerkte der aufmerksame Radfahrer, wie wir weiterhin auf wunderschönen Straßen entlangrollten. Trotz Regens. Das will schon was heißen. Dennoch musste am Ende der Abfahrt erstmal ein Pitstop her. Wir enterten Keswick. Kleines Örtchen mit vielen Cafés. Perfekt.

Wir kehrten ein im Honey’s Pot und verteilten die tropfenden Schmutzsachen auf der Heizung, die allerdings so gut wie aus war. Die Besitzerin war „not amused“ und bediente uns nur widerwillig. Dass wir am ganzen Körper zitterten war zweitrangig neben ihrer beschmutzten Caféeinrichtung. Da zudem die Heizung nicht an war und es im Honigtopf also arschkalt war (temperaturell und atmosphärisch) packten wir alsbald wieder alles zusammen und wechselten ins Costa's.

Hier war die Heizung an. Und es gab ein großes „Hello!!“ als wir die Radfahrer vom Morgen wiedertrafen. Diese hatten bereits einen See in den schicken Holzfußboden getropft. Aber das störte hier niemanden. Die Ausflugsradler hatten jedoch die Nase voll vom Regen und kehrten um. Nicht, ohne uns noch mit auf den Weg zu geben, dass wir Schottland bei dem Wetter niemals heute schaffen würden. Wenn die wüssten, dass das gar keine Option ist …

Weil uns noch immer nicht warm war, plauderten wir noch etwas mit dem Pärchen rechts von uns. Auch ein britischer Hobbyradfahrer. Der von bike-discount.de schwärmte, wo er immer seinen Kram bestellte.

Als die Klamotten nur noch klamm waren und wir wieder sowas ähnliches wie Betriebstemperatur erreicht hatten, packten wir zusammen und stapften wieder hinaus nach Keswick. Der Regen hatte sich in Niesel verkleinert. Zum Glück aber nur kurz und als wir auf den Fahrrädern saßen, gab es erstmal einen Sturzregen, sodass klamottentechnisch alles wieder wie vor der Pause war.

Am nächsten Anstieg spielte ich gedanklich durch, was es bedeuten würde aufzugeben.

Auf einmal jedoch war der Berg alle, die Wolken waren alle und die Sonne da. Wir waren in Bassenthwaite, was sich im Wesentlichen durch Schafe und Weiden auszeichnete und von da an rollte es wieder. Im Sonnenfahrtwind trockneten die Sachen ganz schnell und wir konnten sogar die Ärmel kurz ausziehen. Das Thema Aufgeben war damit vom Tisch.

Mit sowas können wir doch leben: Wolken, aber kein Regen.

Da! Blauer Himmel!

Da steigt auch gleich die Laune wieder.

Und plötzlich waren wir auf der Hochebene. Komplett verlassene Straßen mit weitem, weitem Blick und gelbem Torf. Wie im Nirgendwo. Gott, war das schön. Da bin ich kurz am Fotoapparat Amok gelaufen.

Auch im Nirgendwo stehen Schilder.

Und plötzlich wussten wir wieder, warum wir die Tour machen.

… Um bis zum Horizont zu gucken …

… Und um uns das Lüftchen der Freiheit um die Nase wehen zu lassen. Und man beachte den BLAUEN HIMMEL!

Wie sich das gehört, pfiff der Wind gehörig über die Hochebene hinweg. Am letzten Fotostopp konnten wir es gar nicht lange aushalten, weil es uns schlicht wegpustete. Wir machten also schnell wieder los und in einem gemächlichen Auf und Ab ging es immerzu zwischen Schafherden entlang.

Nach den morgendlichen Highlights konnte die Landschaft ja nur noch abnehmen. Also machten wir Kilometer – wir hatten ja ohnehin einiges vom Vormittag aufzuholen. Kurz vor Carlisle, bei Kilometer 65 entdeckten wir am Straßenrand ein Schild: Homemade Scones. Wir machten beide eine Vollbremsung und kehrten ein. Hmmmm – die besten Scones der Tour. Selbstgemacht, frisch gemacht, noch warm mit Butter und Marmelade. Dazu einen 5 o’clock afternoon tea. Genau das richtige für die ausgehungerte Fahrradseele.

Durch Carlisle schossen wir einfach hindurch. Es hätte sicher viel zu sehen gegeben. Aber wir waren schon viel zu spät dran, viel zu müde und wollten unbedingt ankommen (die Liebe) beziehungsweise unbedingt nach Schottland (ich) – was in diesem Fall ungefähr auf dasselbe hinaus lief.

Und da war es endlich: Nach 90 Kilometern erreichten wir Schottland. Und das Bergfest.

Hah! Wenn das die zweifelnden Engländer von heute morgen sehen könnten.

Das erste Haus in Schottland. Und wir zwei feiern Bergfest. Vielleicht schaffen wir es ja doch nach John o‘ Groats?!

Bis Lockerbie, unserem Planziel, waren es noch 40 oder 50 Kilometer. Es war also wirklich keine Zeit zum Innehalten. Wir bolzten also weiter. Es rollte, aber wir waren einfach kaputt nach so einem anstrengenden Tag. Lockerbie klang noch ungefähr so weit entfernt wie Stockholm.

Und so verwunderte es niemanden in der Reisegruppe als wir vorzeitig den Tag beendeten und in Ecclefechan, zirka 20 Kilometer hinter der schottischen Grenze, einkehrten. Hier gab es nur ein Hotel schien uns, aber das war auch gleich das beste am Platz.

Sah aus wie ein Jagdschlösschen. Die Dame der Reisegruppe dürfte die Anmeldung – und damit verbunden – die Zimmerauswahl übernehmen. Natürlich wählte ich das, was sonst auch gern als Hochzeitssuite gebucht wurde. Das war ja wohl mindestens angemessen.

Und nun fehlte nur noch das Abendessen im Prunksaal. Danach fielen wir in die weichen Betten und träumten von Schafen, Bergen und einer klitzekleinen Regenwolke.

Schicket Ding! Hier kehren wir ein.

Der Ort sah nach nicht viel aus. Aber die Zimmer können sich sehen lassen.

Fazit: Je weiter man nach Norden fährt, desto kleiner werden die Lämmer. Und sogar die Schwänchen sind hier im kälteren Norden noch nicht ausgebrütet. Es ist ein bisschen wie eine Reise in die Vergangenheit.

Unterkunft
Cressfield Country House Hotel
Townfoot
Ecclefechan
Dumfriesshire
DG11 3DR

Unterwegs
The Honey Pot – als Nicht-Empfehlung.

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