Freitag, 10. Mai 2013

Etappe 6: Glorreiche Duschhauben.

Von Chorley nach Ambleside.
Das erste, was wir beim Aufwachen hörten, war der Regen, der an die Fenster klopfte. Da die sechste Etappe als die mit 108 Kilometern kürzeste geplant war, waren wir jedoch relativ gelassen: Erst mal ausgiebig frühstücken und dann würden wir ja sehen, wer hier den längeren Atem hatte – wir oder der Regen.

Um es kurz zu machen: der Regen.

Als wir kein Frühstück mehr in uns hinein bekamen, mussten wir den Tatsachen ins Auge blicken: Da wir hier nicht bleiben wollten, mussten wir im Regen los. Schade, wo doch gerade die Klamotten fast trocken waren …

Wir packten unsere Siebensachen und holten unsere Fahrräder aus dem Büro, in dem sie die Nacht verbracht hatten. Na toll, auch der griesgrämige Radgott vom Vortage war noch nicht fertig mit uns: Das Storck hatte einen Platten. Also stellten wir uns erst mal unter das Hotelvordach und kramten Werkzeug raus. Beim neuerlichen Radausbau zeigte sich dann auch, weshalb der Vortag sich auch einfach nicht mehr schön entwickelt hatte nach unserer kleinen Schlammschlacht: Das Laufrad war so schief eingebaut, dass es am Rahmen bereits Lack abgeschliffen hatte. Iiiierks. Das muss ganz schön gebremst haben.

Das gute an der Bastelei unter dem Vordach: Das gab uns noch ein wenig mehr Zeit bis der Regen aufhörte …

… Tat er aber natürlich nicht. Irgendwann mussten wir dann dennoch aufs Rad und fuhren im strömenden Regen los. Keine zehn Minuten und die Illusion von trockenen Klamotten war schon wieder dahin. Ereignislos ging es so 40 Kilometer straff nach Norden. Ich. Die Liebe. Und der Regen.

Nach 40 Kilometern entdeckten wir einen einladend aussehenden Hof mit großem „The Pudding House“-Schild über der Tür. Sah toll aus, aber wir fuhren weiter. Es war schließlich noch viel zu früh zum pausieren.

Ich brauchte ganze 300 Meter bis ich mir überlegte, was das denn für ein Quatsch sei! So’n schönes Haus, so’n scheiß Wetter und wir argumentieren hier mit „zu früh für irgendwas“? Also stieg ich in die Eisen und verkündete: „Zurück! Wir müssen zurück! Da gibt es Dessert!“

Was für eine gute Entscheidung!

Hausgemachte Gemüsesuppe und Marschmellow-Trinkschokolade.

Und zum Dessert: Treat Cheesecake! Der hieß wirklich so!

Episode am Rande: Während wir wie zwei kleine Eiswürfel im Café saßen und mit Schaudern in den Regen vor der Tür sahen, fuhr ein altes Ehepaar mit ihrem Wagen auf den Hof – nur um sich eine Tüte Eis zu kaufen und die im Auto – kalt! – aufzuessen. Die sind schon manchmal komisch, die Briten!

Wir schlemmten so lange, bis sich ein Streif blau am Himmel zeigte. Dann gings für uns weiter – nicht, ohne noch eine Tafel handgeschöpfte Schokolade für härtere Zeiten aus dem Puddingshop mitzunehmen. Dazu haben die Ladies die ja schließlich extra gemacht.

Wir erreichten Lancaster. Das diesige Wetter passte hervorragend zu den pittoresken Arbeitervierteln, die wir bei Kilometer 55 passierten.

Wie aus dem Bilderbuch: Stadt in England. Nieselregen.

Ab Lancaster hatten wir dann wieder 10 Kilometer lang ruhigen Kanalradweg. Diesmal war der Weg auch deutlich besser. Naja, und das Storck rollte ungeschleift auch wieder vernünftig.

In der Zwischenzeit waren unsere Klamotten auch schon wieder getrocknet. Was so ein bisschen Fahrtwind ausmacht … Als glorreich hatten sich übrigens die Duschhauben erwiesen, die wir auf Anraten eines Fahrrad-Fanatikers gleich in der ersten Unterkunft geklaut hatten. Sah doof aus, hielt aber die Birne trocken!

Nichtsdestotrotz lohnte es nicht, sich über die trockenen Sachen zu freuen. Wie zum Hohne setzte alsbald der Regen wieder ein.

Es gab keinen wirklichen Grund anzuhalten und so radelten wir auf der A6 im Regen weiter gen Norden. Wer jetzt einen Schreck kriegt: „A“ steht in England nicht für „Autobahn“. Sorgen braucht man sich erst machen, wenn wir auf einer M-Straße fahren. Klein und lauschig war die A6 dennoch nicht. Aber wirklich schlimm wurde es erst, als wir bei Levens auf die A590 abbogen: Wir wurden vierspurig! Und natürlich fuhren die Engländer auch so! Wir bissen die Zähne zusammen und schickten Stoßgebete gen Himmel. Wir fühlten uns todesmutig.

Zum Glück sollte es nur drei Kilometer auf dieser Schnellstraße langgehen. Vor lauter Schreck verpassten wir jedoch die Abfahrt. Wir mussten nämlich rechts raus – also in England heißt das, einmal quer rüber. Mir war völlig unklar, wie wir hier lebend die Straße überqueren sollten. Bei dem Verkehr! Und dem Tempo!

An der nächsten Parkbucht fuhren wir links ran und besprachen die Lage. Es half alles nichts. Wir mussten da rüber. Wir fuhren zur nächsten Ausfahrt. Hielten links an. Drehten die Fahrräder in Position. Und warteten auf eine Lücke im Verkehr. Alsbald sprinteten wir zur Mittelinsel. Warteten erneut. Und sprinteten bei der erstbesten Lücke wieder los.

Puh! Auf der anderen Seite angekommen einmal tief durchatmen. Durchzählen. Alle noch da! Sehr gut. Dann konnte es ja weitergehen.

Und es ging grün weiter! Wir waren im Lake-District-Nationalpark angekommen. Kleine Hügel und Berge. Steinmauern, Weidewiesen, Schafe. Furchtbar schön war es hier! Nur leider verregnet. Und so hielten sich die Pausen in Grenzen.

Verweile doch! du bist so schön …

… verregnet. Wir verweilten nicht und fuhren sogleich weiter.

Sieht das nicht schon ein bisschen aus wie Schottland? :)

Die restlichen 25 Kilometer bis zum Tagesziel waren spektakulär unspektakulär. Will sagen: Es war irre schön. Aber wir haben kaum noch angehalten. Keine Fotos, keine Stopps. Wir wollten nur gern aus den nassen Klamotten raus. Einmal bogen wir noch ab in eine kleine Nebenstraße. Aber die Liebe drängte nach ein paar Kilometern auf Umkehren. Die Straße war klein, schlecht und hügelig. Und eigentlich würde uns die Hauptstraße, die wir zuvor verlassen hatten, ebenso ans Ziel bringen. Nur eben schneller. Ich willigte ein und wir fuhren zurück.

Ambleside erreichten wir nach 108 nassen Kilometern noch vor 19 Uhr. Die Liebe war wie üblich wählerisch bei der Unterkunftsauswahl. Ich wie üblich panisch, dass wir alles ablehnten und am Ende ohne Bett dastanden. Wir waren ja schließlich nicht irgendwo, sondern in DER Urlaubsregion für die Briten.

Da ich jedoch wusste, dass ningeln nichts brachte, tappte ich brav dem Storck hinterher, tat so, als würde ich mich ebenso andächtig der Hotelspeisekarteninspektion widmen und hoffte immer nur, dass wir endlich ein Hotel nahmen. Nahmen wir aber nicht. Wir suchten weiter. In einer Nebenstraße einer Nebenstraße stand dann ein Schild: „The Old Vicarage – Guest Rooms and Sauna“. SAUNA! YES!

Wir diskutierten gar nicht erst, sondern sahen uns an, nickten und schoben die Räder die Auffahrt hoch. In dem Moment ging auch der Regen aus und die Sonne an.

Regen aus, Sonne an: The Old Vicarage war der perfekte Ort.

Der gemütliche Herbergsvater wollte nichts wissen von meinem „Wir nehmen alles!“ und bestand darauf, dass wir uns erst mal das Zimmer ansehen, bevor wir es kauften. Wir linsten hinein, jubelten und schrien: „Wir nehmen es!“ Der Herbergsvater lachte und sagte: “I love guests who say yes before they know the price.”

Wir klärten dann noch die Reihenfolge der notwendigen Aktivitäten bis zum Abendessen: Zuerst Wäsche ansetzen, dann in die Sauna und dann Afternoon-Tea im Wintergarten – und schon kicherten wir vor lauter Vorfreude und schälten uns aus den patschnassen Klamotten.

Wintergarten im Old Vicarage mit Blick auf die Berge. Hinter dem Ruder gings runter in die Sauna.

Herrlich!

Afternoon-Tea …

… bei Sonnenschein.

Wir genossen den für unsere Verhältnisse noch frühen Abend und schalteten ganz schnell von Fahrrad-Regen-Stress auf Urlaub um. Ich schlug halb im Scherz vor, dass wir doch das ganze End2End sausen lassen sollten und lieber ein paar Tage hier verbringen könnten. Natürlich lehnte die Liebe ab. Ich war ein bisschen enttäuscht.

Nachdem wir aufgewärmt und voll und ganz in Urlaubslaune waren, gingen wir den Ort erkunden und der Abendessenfrage nach.

Warum die Sonne nun erst zum Abend herauskam und die dicken Regenwolken wegschob, blieb uns ein Rätsel. Wir hofften, dass sie schon für morgen üben würde.

Klein und mit Bergen: Ambleside.

Immer auf der Suche nach dem geeigneten Restaurant. Das hier sieht doch gut aus!

Schmeckte so gut wie es aussah: Wir kehrten ein in Sheila’s Cottage …

… während Paddington neue Freunde im Vicarage fand.


Fazit: Auch nach einem ganzen verregneten Tag kann man sich noch wie Urlaub am Ende fühlen. Schade nur, dass wir nicht hier blieben. Ich würde ja …

Unterkunft
The Old Vicarage
Vicarage Road
Ambleside
Cumbria
LA22 9DH

Unterwegs
The Pudding House

vorheriger Tag <<<       >>> nächster Tag

Profil
Abmelden
Weblog abonnieren