Donnerstag, 9. Mai 2013

Etappe 5: Der Tag, an dem der Regen kam.

Von Shrewsbury nach Chorley.

Da müssen wir erst so weit in den Norden fahren, um ein tolles Frühstück zu bekommen! Nichts da mit Full English Breakfast: Das Lion hielt Croissant, Brot und sogar Naturjoghurt und Wurst und Käse für uns bereit. Für die Liebe gab es Porridge. Mit Bananen!

Und so konnten wir bald wohl gestärkt losradeln. Wie gewohnt ging es immer und schnurgerade nach Norden. Die Kraft vom Frühstück brauchten wir: Wir radelten im Wind mit Windstärke 300. Gefühlt. Zum Glück kam der viel von hinten. Manchmal aber auch von der Seite und wehte uns dann fast von der Straße. Und wenn er sich entschloss, von vorne zu blasen … nun ja, ohne Worte. Auf jeden Fall gewannen wir an diesem Tag die Hecken lieb. Wie praktisch. Unser kleiner Schutzwall.

Wind und Wetter: England zeigte sich englisch.

Passend zum unpässlichen Wetter zeigte sich auch die Umgebung von ihrer englischen Seite: Englisch-industriell, um genau zu sein. Wir fuhren durch Arbeiterviertel im klassischen roten Backsteinbau-Chic.

Noch mehr englisch: Rote Backsteinbauten. Willkommen im Klischee!

Es war mittlerweile fast Mittag und wir erreichten Whitchurch. Wir hielten schon mal Ausschau nach einer Bäckerei, aber eigentlich war es dafür noch fast zu früh. Wir hatten ja gerade erst 35 Kilometer auf dem Tacho. Und da uns auch nichts ins Auge sprang, das einen verfrühten Mittagsstopp rechtfertigen würde, rollerten wir schnurstracks weiter. In der Zwischenzeit hatte es leicht zu Nieseln begonnen. Das passte hervorragend zu den englischen Backsteinbauten.

Leider hörte es nicht auf zu Regnen. Und als das Wetter hässlicher wurde, rollte ein Café auf der rechten Straßenseite an uns vorbei. Wir bremsten, schoben das Rad zurück und kehrten ein ins Trockene: Wir waren in Bunbury, das Garmin sagte: „50 Kilometer“ und das Schild über dem Eingang: „Tilly’s“. Und wieder einmal hatten wir einen echten Glücksgriff mit unserer Café-Wahl: Tilly’s ist so urgemütlich, charmant und liebevoll eingerichtet, dass wir uns sofort wohl fühlten. Und das nicht nur, weil draußen regentechnisch die Welt unterging.

Tilly’s scheint so etwas wie die Dorfkneipe – nur eben als Café – zu sein. Hier trafen sich alle zum Schwatz, zum Projekte- und Pläneschmieden oder einfach zum Kaffeetrinken. An den Wänden hingen tausenderlei Wanduhren und es gab ein riesiges Bonbonregal. Ist ja wohl klar, dass sie in so einem Laden auch Hot Chocolate deLuxe servierten! Nehm ich! Und dazu ein super leckeres, getoastetes Sandwich mit Salat und Chips. Tilly war nicht nur extrem freundlich. Sie weckte auch unsere Lebensgeister in Null-Komma-Nix wieder. Daher gibt’s hier jetzt ein kleines fotografisches Tilly-Special:

Bei Tilly’s: Die Liebe vor einem Bonbon-Regal. Da weiß man ja gar nicht, wo man hinschauen soll …

Wer bei der Café-Bewertung punkten will, muss deLuxe-Schokolade anbieten. 12 Punkte für Tilly’s!

Wenn wir nur nicht so gepäcklimitiert wären, hätte ich gerne eine der Uhren mitgenommen. Allerdings überstiegen die auch preislich unsere Limits.

Yummy!

Immer im Blick: Wo sind wir? Wo wollen wir hin?

Natürlich machte sich der Regen nichts aus unserer Warterei und troff einfach weiter. Es half alles nichts. So gerne wir noch länger bei Tilly's geblieben wären – wir hatten ja noch was vor. Also schmissen wir alle Regensachen an, die wir in unseren Rucksäcken fanden und begaben uns heldenhaft in den Regensturm.

Mit „Held“ war es aber auch kurz darauf schon wieder vorbei als uns das Garmin auf eine Schotterpiste schickte. Mit Schotterpisten ist es in unserer Beziehung so: Sie haben Trennungspotenzial. Während sie mir nichts ausmachen – im Gegenteil, ich sie als abwechslungsreiches Abenteuer mit Verdacht auf außergewöhnliche Landschaftsabschnitte begrüße, hasst die Liebe sie. Da kriegt er Puls, da wird er ningelig. Da schreit er nach Asphalt.

Wir diskutierten das also kurz aus. Mitten im Regen. Ich setzte mich durch, weil ich es hasse zurückzufahren. Und, Herrgott, wie lang konnte dieses Schotterstückchen schon sein? Hinten murmelte es was von „Scheiß-Google! Was haben DIE denn hier geplant?“. In der Zwischenzeit verwandelte sich der Schotter langsam in Sand und eine Art Pferdetrail. Ich denke, ich muss nicht im Detail ausführen, wie der Sand-Trail bei diesem Dauerregen in der Zwischenzeit aussah … Also dieses mal nichts mit außergewöhnlicher Landschaft. Zumindest nicht so, wie der Dichter es meinte.

In Gedanken ging ich durch, wie wir unseren Hausstand nach der Trennung aufteilen würden – sollten wir jemals heil aus diesem Schlamm rauskommen. Ich wollte auf jeden Fall den Kater behalten!

Die Liebe fluchte und wir schoben. Aber irgendwann ist auch die längste Abkürzung zu Ende. Keine zwei Kilometer später sahen wir wieder Asphalt. „Puh,“ sagte ich. „War doch gar nicht so schlimm!“ Wenn Blicke töten könnten …

Ein Blick auf das Gefährt ließ mich dann aber doch stutzig werden. Während das Caad nur etwas schmutzig war und nach einem leichten Aufstuken auf dem Asphalt wieder voll einsatzfähig, sah das Storck aus als sei es aus der Hölle gekommen: Bremsen verdreckt; die Schaltung ein Haufen Matsch; die Kette nur noch zu erahnen unter dem schwarzen Klumpen. Kurz: da lag Einiges im Argen. „Wo bist DU denn gewesen? Wir sind doch die selbe Strecke gefahren!!“ Ups, falsche Frage.

Die Liebe fluchte und begann, das Rad auseinander zu nehmen, um es abzuschmutzen. Ich fragte, ob ich fix ein Foto machen durfte für den Bericht später. Die Liebe schleuderte Blitze nach mir und ich entschied mich, das mit dem Foto zu lassen und stattdessen Grasbüschel auszurupfen und bei der Fahrradpflege zu helfen. Während der ganzen Zeit regnete es selbstverständlich weiter. Als alles immer noch schmutzig, aber etwas weniger matschig war, schraubten wir den Esel wieder zusammen und fuhren schweigend weiter. Das einzige was man hörte, war das Knirschen, das das Storck von sich gab. Sauber ist eben doch was anderes.

Es regnete und regnete. Wir befanden uns mittlerweile auf übervollen Überlandstraßen. Da wir sowieso nicht miteinander redeten, kam ich auch gar nicht erst auf die Idee, einen Nebenpfad vorzuschlagen. Auf den Straßen hatte ich jedenfalls genügend Zeit, über das britische Konzept von „Fahrradweg“ nachzudenken. Die Wege sind schmal und komplett verdreckt. Für mich sieht das eher so aus, als wollten die Straßenbauer mit einem weißen Strich die Fahrbahn von der Gosse abtrennen, also dem schmalen Teil am Rand, der komplett mit dem Dreck der Straße zugemüllt ist. Naja, und weil noch etwas Farbe übrig ist und ja alles irgendwie einen Sinn haben muss, malen sie noch kleine Fahrräder auf den Dreckteil. Das Gegenteil von gut gemacht ist gut gemeint.

Und es regnet DOCH in England!

Wir kämpften tapfer weiter. Es regnete ebenso tapfer weiter. Wir passierten Warrington, eine mittelgroße Stadt zwischen Liverpool und Manchester mitten im Feierabendverkehr. Ein Wort: Furchtbar. Augen zu und durch.

Nach 15 Kilometern ging es endlich wieder auf einen Radweg: Ab Wigan direkt am Kanal entlang. Bevor sich die Eisenbahn durchsetzte in England, hatten die Briten ihr Land mit einem feinen Kanalnetz überzogen, um ihre Fish&Chips in alle Winkel des Königreichs zu transportieren. Es war herrlich. Der Regen ließ etwas nach und die Sonne ließ sich sogar wieder blicken.

Nach so vielen harten Prüfungen lachte die Sonne - und ein bisschen auch die Liebe - noch mal gegen Ende des Tages.

Damit die Kanalstraße wirklich nur für Fahrradfahrer war, hieß es immer wieder auf- und absteigen. Die Briten hatten sich ein lustiges Absperrkonzept ausgedacht: Eine aufwendig gestaltete Pforte, durch die wirklich nur das Ross durchpasste. Der Reiter musste außen rum gehen und sein Rad auf der anderen Seite entgegen nehmen. Nach der zwölften Absperrung – das gebe ich gerne zu – wurde es aber auch lästig. Wir wollten ja auch noch mal ankommen. Irgendwann.

Wer hat sich das nur ausgedacht? Absperrung am Fahrradweg.

Aber da uns der Radgott heute eh auf dem Kieker hatte, wurde natürlich auch unser Radweg immer technischer. Nach ein paar Kilometern waren wir wieder beim Schotter.

Schottrig-nass.

Freude sieht anders aus: Die Liebe mit der Welt im Zwist.

Und nicht selten wandelte sich der Weg in einen pampigen, vermoosten, Grasstreifen. Besonders schwierig war es unter den kleinen Brücken: Da lagen Steine, mittlerweile glitschig vom Regen, und der Weg wurde schmal mit empfindlicher Nähe zum Wasser. Da sah sogar ich mich schon manches Mal gleich in den Kanal stürzen.

So sieht das aus, wenn man nur noch ankommen will.

Mit 12 km/h sowie begleitet von Gefluche und Geschimpfe und immer kurz vorm Abgang ins Wasser erreichten wir nach 130 Tageskilometern Chorley.

Trotz oder gerade wegen allen Kampfes war die Liebe wie immer gewillt, die schönste Unterkunft am Platze aufzusuchen. Mir hätte einfach nur eine heiße Dusche und ein Bett gereicht. Aber auch ich war heute nicht mehr zum Diskutieren aufgelegt. Als wir endlich das B&B erreichten, klingelten wir. Wie die begossenen Pudel im Regen vor ihrer Tür stehend, müssen wir ein mitleiderregendes Bild für die Wirtin abgegeben haben. Sie hörte jedenfalls gar nicht mehr auf, zu bedauern, dass sie ausgebucht sei.

Dann rief sie ihre Kumpeline an, die ja auch ein B&B hatte. Nun, da war zwar gerade Stromausfall. Aber sie würde mal fragen, wie der Stand war. Und weg war sie. Wir warteten. Im Regen. Und fragten uns, ob wir wirklich so aussahen, als hätten wir Lust auf ein Zimmer ohne Strom.

Jedenfalls kam sie nach einigen Minuten noch reuevoller zurück. Sie hatte sie nicht erreicht. Aber wir sollten doch einfach mal hinfahren. Sie beschrieb uns ausführlich den Weg und wir machten los. Aber natürlich nicht da hin. Mittlerweile hatte auch die Liebe die eigenen Ansprüche an die Realität angepasst und also nach unten korrigiert.

Wir machten uns auf die Suche nach dem örtlichen Premier Inn. Nach einigem Hin- und her fanden wir es auch und es sah für mich aus wie das Palace! Wir tropften das schnieke Zimmer voll, föhnten die Klamotten bis das Gerät überhitzte, wankten in den Pub, wo Darren sein Pubquiz ins Mikro schrie und kratzten das Pubfood bis auf den letzten Krümel von unseren Tellern. Nach dem Essen noch mal föhnen bis der Fön erneut heißlief und dann ab in die Koje.

Fazit: In England regnet es DOCH. Und wie! Wenn dann auch noch Google-geplante Dreckwege dazu kommen, sinkt die Stimmung ins Bodenlose.

Unterkunft
Premier Inn
Malthouse Farm
Moss Lane
Whittle-Le-Woods
Chorley PR6 8AB

Unterwegs
Tilly’s

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