Sonntag, 5. Mai 2013

Etappe 1: Mit dem Mini die Fähre verpassen.

Von Land’s End nach Camelford.

Endlich, endlich ging es los! Der Wecker klingelte extra zeitig um 8 Uhr und wir sprangen herrlich aufgeregt aus den Federn. Ein Blick aus dem Fenster in der Tür zeigte uns … nichts. Aha, dichter Bodennebel. Egal. Wir mussten ja eh erst mal all die leckeren Dinge frühstücken, die uns Susie und David bereitgestellt hatten. Also frühstückten wir, was in uns hinein ging und erlaubten uns, zwei Back-up-Bananen und Nussriegel für die lange Fahrt auch noch mit einzustecken.

Echtes Radlerfrühstück.

Ebenfalls mit eingesteckt haben wir die zwei Wegwerfduschhauben aus dem Bad. Man kann ja nie wissen … Schließlich waren wir in England.

Als wir alles ein-, aus- und wieder eingepackt hatten, schnallten wir unsere Sachen und holten die Fahrräder. Von den 12 Rädern, die da gestern noch rumstanden, waren nur noch unsere beiden da. Alle anderen waren scheinbar schon vor Sonnenaufgang aufgebrochen. Streber!

Susie hatte abends gefragt, wann wir losmachen würden. Sie würde gern von allen LeJog’lern ein Foto für ihre Facebookseite machen.

Wir sahen uns um.

Kein Fotograf da. Macht ja nichts. Klingeln wir halt. Sonntags um 9. In der Gegensprechanlage war ein Mann: „häh?“ „Hi there. We wanted to say we are ready. You wanted to take a picture of us.” „…“ Then again „…“ Ich glaubte schon, David sei wieder eingeschlafen. Dann endlich eine Antwort: „Weeeeell, we are not quite ready.“ Also dann kein Pressefoto. Wir sagten brav Danke und rollten los. Von der Straße sahen wir noch, wie Susie aus dem Haus gerannt kam und nach uns Ausschau hielt. Da waren wir aber schon auf großer Reise …

Auf unserer Nordtour ging es erstmal nach Süden. Denn wir waren ja noch nicht am äußersten Ende, sondern noch zwei, drei Kilometer von der Küste entfernt. Also mussten wir als erstes mal zu unserem Startpunkt.

Land’s End – da wo der Startwegweiser steht – soll ja eher furchtbar hässlich sein. Völlig mit Touri-Buden und Jahrmarktgedöns zugestellt. Also erwarteten wir nicht allzu viel. Zum Glück müssen aber auch Touri-Buden-Verkäufer und Jahrmarktgedönsbesitzer mal Feierabend haben und so erreichten wir das Ende des Landes – und waren allein.

Nebelig kalt und ganz still lag das Meer vor uns. Die Klippen klippten sich formvollendet ins Wasser und wir fanden schnell wonach wir suchten: Das berühmte Schild. Nun ja, das berühmte Schild war – wie man auch in der Vorbereitungslektüre lesen konnte – außerhalb der Geschäftszeiten des geschäftstreibenden Fotografen abgebaut. Aber zum Glück stand ein fest installiertes Schild direkt daneben. Und das eignete sich ebenfalls hervorragend für unsere Beweisfotos.

John O' Groats - 874 Meilen. Kein Ding ...

Nach einigem Kamera-Hin-und-Her rollten wir zurück auf den Parkplatz. Denn da hatten wir sie schon gesehen: Die Startlinie. Die Liebe murrte kurz, es sei schon halb zehn und wir noch nicht mal losgefahren, ließ sich dann aber doch bereitwillig von mir von allen Seiten vor der Startlinie ablichten.

Und dann fuhren wir los.

Ordnungsgemäß an der Startlinie angestellt.

Der Nebel hob sich langsam und es schien ein schöner Tag zu werden. Schön war vor allem erst mal, wie alle uns grüßten. Ob die Hundespaziergänger, die Leute, die die Zeitung aus ihrem Briefkasten holten oder der ein oder andere Jogger: alle wünschten uns ein „Good Morning“. Herrlich. Ich war gleich ganz urlaub! Wo wird man denn in Berlin schon mal gegrüßt? Da kann man ja schon froh sein, wenn man nicht böse angesehen, sondern einfach nur ignoriert wird. Und nein, auf den deutschen Dörfern ist das auch nicht besser! Da wird man misstrauisch beäugt, wenn man durch fährt.

Hier also „Good Morning“. Ganz wunderbar! Zunächst ging es zurück nach Penzance. Wir fuhren eine andere, ruhigere Strecke als am Vorabend als es nur ums Ankommen ging. Ganz Cornwell-typisch scheinen die hohen Hecken an schmalen, einspurigen Asphaltwegen zu sein. Sah hübsch aus, weil man wie in einem Kanal fuhr. Aber nach Kilometer 15 oder 20 bemerkte man doch, dass irgendetwas nicht stimmt: Ach ja, man sah gar nichts! Die Hecken ragten deutlich über Kopfhöhe und da war also nichts mit Landschaft-Gucken.

Hinter Penzance ging es kurz auf einer viel zu großen Straße Richtung Autobahn (Angst!) und wir rätselten, wie wir uns auf die andere Straßenseite retten konnten, wo unser Fahrradweg langzugehen schien. Todesmutig zitterten wir uns noch 300 Meter auf der Schnellstraße entlang und retteten uns bis zu einer Fußgängerampel, die Stadtplaner freundlicherweise für die letzten verirrten Radfahrer vor der Autobahnauffahrt installiert hatten.

Auf der anderen Seite war nicht nur das Gras grüner, sondern vor allem der Rad-, Jogg- und Wanderweg auch vorhandener. Und nicht nur das: Er war auch schön! Gut ein bisschen kieselig (die Liebe: „Hätten die hier nicht Asphalt hinplanieren können? Das wär viel besser!“), aber dafür immer am Meer entlang. Ich entdeckte Mt. Saint Michel und hab kurz an mir gezweifelt, weil ich den doch in Frankreich vermutete, und wir kurvten an Kinderwagen, Strandfamilien und verdammt vielen Sonntagssportlern vorbei. Wir kamen gut voran und querten hinter dem St. Michael’s Mount den kleinen Zipfel im Südosten Englands nach Norden – nach Hayle.

Am Meer entlang reiste es sich wie immer ganz gut.

Hier und da gabs noch einige Verfahrer, weil mein Garmin zwar die Strecke anzeigte – allerdings keine Karte hinterlegt war. Das Geld für die Software hatten wir uns dann doch gespart. Also fuhren wir nach einem rosa Strich auf ganz schwarzem Hintergrund. Hatte der Strich einen Knick, mussten wir abbiegen. Es sei denn, die Straße knickte auch. Dann bogen wir nirgendwo hin, sondern folgten der Straße.

Da kann man am Anfang schon mal etwas fehlnavigieren. Der Copilot übte sich in Geduld, aber offenbar nur ganz kurz. Noch vor dem Mittagessen rissen wir uns gegenseitig das Navi aus der Hand, bis wir ein für alle Mal festlegten: Meinen rosa Strich navigiere ich ganz allein! Und mit ein bisschen Übung erreichte ich erstaunliche Expertise auf meinem Gebiet.

Und so navigierte ich uns erfolgreich in einen original englischen Pub in Camborn. Ranzig, aber gemütlich – der Pub. Die Wirtin sah etwas burschikos stämmig aus, war aber ganz freundlich und machte uns – „Of course, love.“ jedem ein Sandwich. Zum Dank klaute ich ihr noch etwas Strom für mein Garmin. Jetzt bloß kein Risiko eingehen, wo ich endlich den rosa Strich verstanden hatte.

Pub-Chic in Camborn. Man beachte die aufgeritzten Sitzbänke.

Frisch gestärkt ging es weiter Richtung Norden. Die Sonne bretzelte in der Zwischenzeit herrliche 20 Grad (ich hatte es ja immer gesagt: In England scheint die Sonne!) und Cornwell wellte vor sich hin. Und das nicht zu knapp.

Es ging entweder bergauf oder bergab. Geradeaus ging es fast nie. Und die Anstiege hatten es wirklich in sich. Da war von 11 bis 18 Grad alles dabei. Permanent. Ohne Unterbrechung. Bei jeder Abfahrt hoffte man, dass es nicht wieder ganz bis nach unten ginge. War ja eh klar, dass man jeden Höhenmeter mühsam wieder hochpedalen musste. Die Brandenburger Flachlandbeine hatten ganz schön zu kämpfen und ich fragte mich, wie ich beim Großglockner im letzten Jahr stundenlang bergauf fahren konnte. Das erschien mir nach ein paar Mauern von Cornwell schier unvorstellbar.

Da es erst der erste Tag war, war das Motivationsglas entsprechend noch halbvoll. Außerdem versicherte der Kartenkenner, dass heute und morgen kilometer- und höhenmetertechnisch wirklich die schwersten Tage seien. Morgen also auch noch. Aha.

Also ging es einfach weiter. Wir fuhren und fuhren. Kleine Straßen. Hohe Hecken. Blauer Himmel. Ein bisschen wehmütig wurde ich, weil wir so wenig Zeit hatten. Mir dämmerte so langsam, dass wir immer nur fahren würden. Das Hügel-Auf-und-Ab drückte unseren Schnitt gewaltig und keiner von uns beiden wäre auf die Idee gekommen, irgendwo einfach so zu verweilen. Obwohl ich es gerne getan hätte.

Wir erreichten Newquay. In der kleinen Innenstadt war es Zeit für unseren ersten von noch vielen folgenden „5 o’clock teas“ und ich fragte eine Passantin nach einem Bäcker. Komisch, in England und auf Englisch habe ich viel weniger Berührungsängste. In Deutschland wäre ich vermutlich lieber 5 Stunden durch die Stadt gegurkt bevor ich einen Einheimischen um Rat gefragt hätte. In England war das anders. Es kostete mich nicht einmal Überwindung. War ich in England anders?

Ich bestellte einen Scone. Ich möchte festhalten, dass ich nach 14 Tagen Urlaub noch immer nicht weiß, ob es [skonn] ausgesprochen wird oder [scoan]. Ich blieb bei [skonn]. Die Liebe ließ sich einen Lemon Pie servieren, der es in sich hatte. Ich neidete ein wenig auf die kremige Zuckerzufuhr während ich an meinem [skonn] knapperte. Nächstes Mal würde ich auch wieder zur Kuchenbar gehen. Wer braucht schon die englischen 5-o‘-clock-tea-Traditionen?

[skonn] mit [päddingtonn].

Aus Newquay heraus kamen wir nicht weit. Hinter einem Kreisverkehr ragten die berühmten Cliffs ins Meer hinein und das Wasser glitzerte in der Sonne. Hier nun mussten wir doch verweilen. Wir staunten und strahlten und konnten uns nicht satt sehen. Am Meer, an den Vögeln, an den grün-braun-schroffen Cliffs, daran, wie das Wasser gegen die Felsen brauste und wie einfach „Urlaub“ war.

Herrlich 1!

Herrlich 2!

Als wir uns für die Weiterfahrt umdrehten, entdeckten wir eine Miniparade. Ein Mini nach dem anderen kam die Straße runtergefahren. Und einer verrückter als der andere. Große, kleine, pinke, schwarze, Cabriolets, Jeeps, mit Sessel auf dem Dach oder mit Mariechenkäfer-Plüsch ummantelt. Wir standen fast eine halbe Stunde da und schauten den nicht enden wollenden Minis nach.

Ich genoss die Skurrilität dieser Autoliebhaber. Und noch mehr genoss ich, dass ich einfach so dastand. Mit Zeit. In der Sonne.

Minis angucken ...

Gut gelaunt warteten wir, ob nach dem letzten Mini noch ein weiterer kam. Aber nein, das war der letzte und so machten auch wir uns wieder auf den Weg. Es waren noch um die 30 Kilometer bis zum nächsten Highlight: In Padstow wartete die Fähre auf uns.

In Padstow mussten wir jedoch erkennen, dass die Fähre nicht gewartet hatte. Schlimmer noch: Die letzte Fähre des Tages hatten wir um eine Minute (also eine Minute!) verpasst. Zwar war Padstow sehr schön und voller sonntagnachmittäglichem Trubel, aber die Laune war dahin. Zu viele Berge sind wir schon rauf und wieder runter, dass mir der Sinn nun wahrlich nicht nach einem Umweg bis zur nächsten Brücke stand.

... bis die Fähre weg ist. Wir erreichten 5:51 p.m. dieses Schild. Verdammt!

Aber wonach mir der Sinn stand, war unerheblich. Wir konnten ja schlecht in Padstow bleiben. Also drehten wir um und fuhren wieder zurück, am Fluss entlang bis nach Wadebridge, wo – richtig – eine Brücke war.

Unterwegs musste ich für die mentale Verfassung noch eine Futterpause einlegen. Die Liebe wollte weiterfahren. Aber wenn ich einmal auf Pause eingestellt war (Fähre!), dann bin ich zur angepeilten Pausenzeit auch wirklich ganz kraftlos und fix und fertig. Also hielten wir noch mal irgendwo im nirgendwo an, durchwühlten den Rucksack und – Juchhu! – fanden Susies Banane und die Nussriegel.

So schafften wir auch die Kilometerpedalei bis nach Camelford, wo Bett, Dusche und Abendbrot am Golfplatz gebucht waren. Sehnsüchtig erreichten wir um acht den Golfplatz im hügeligen Camelford. Allein, das Hotel war nicht zu finden. Wir fuhren den Golfplatz rauf und runter. Nichts. Wir fragten einen Anwohner, der beschrieb uns den Weg. Nichts.

Wir waren erschöpft. Die Höhenmeter klebten uns in den Knochen und wir fanden dieses Scheiß-Hotel nicht und fuhren Höhenmeter um Höhenmeter, weil dieser Scheißgolfplatz an einer auf-und abwärts gefalteten Straße lag!

Wir riefen im Hotel an, die erklärten uns den Weg. Wir fuhren weiter rauf und runter. Nichts. Dann fraßen uns fast noch zwei Jagdhunde auf (die wollen nur spielen!). Wo wir schon mal da waren, fragten wir Frauchen auch noch mal nach dem Weg … und dann endlich, nach einer halben Stunde verzweifelter Suche, fanden wir es!

Ich war totmüde und wollte nur ins Bett. Doch vorher mussten wir – ungeduscht und in Fahrradmontur – schnell noch was essen, denn der Koch würde gleich nach Hause gehen. Das Golfhotelrestaurant war auch nur ein ganz normaler Pub und so störte sich niemand daran, dass wir schmutzig und schwitzig zu Tische gingen.

Wir bestellten riesige Teller. Die Kellnerin deutete vorsichtig an, dass das aber sehr, sehr viel zu essen wäre, stieß aber auf taube Ohren bei uns. Zum Glück können die Engländer nicht so gut kochen. So hatten wir kein schlechtes Gewissen, dass wir uns von unseren Tellern nur die essbaren Dinge raussuchten und den Rest wieder zurückgehen ließen ...

… bevor wir ins Bett fielen und wie die Steine schliefen.

Fazit: Cornwell, du Schuft! Ein Terrain wie beim Amstel Goldrace! Und ich hatte doch nie Frühjahrsklassiker fahren wollen.

Unterkunft
Bowood Park Hotel & GolfClub
Lanteglos
Cornwall
PL329RF

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