Montag, 13. Mai 2013

Etappe 9: Die Königsetappe durch die Highlands.

Von Glasgow nach Glencoe.

Am Morgen rafften wir unsere Sachen – es stand die Königsetappe an: Endlich, endlich ging es in meine geliebten Highlands! Das Wetter verhielt sich wie angekündigt: Sonne und Schauer. Also warteten wir zunächst unter dem Hotelvordach bis Sonne an der Reihe war und eierten dann durch die Stadt zum Flussradweg. Bis zum Loch Lomand waren es 19 Meilen, die sich auf recht schönen Wegen langschlängelten.

Beim ersten Regen bei Kilometer 20 hatten wir noch die Hoffnung, trocken durch den Tag zu kommen und flüchteten unter eine Brücke. Von dort aus sahen wir lauter schicke Mountainbikes rumstehen. Zu schick eigentlich, um einfach zufällig da zu stehen. Und in der Tat: Einmal um die Ecke gelinst, war da ein Fahrradladen. Das traf sich gut: Wir brauchten eh neue Schläuche und etwas Luft. Und als wir alles hatten, war der Regen auch schon vorbei und weiter gings für uns.

Mountainbikeregion Highlands?

Es braut sich was zusammen. Ist aber nur ‘ne Husche.

Endlich erreichen wir Loch Lomand. Hier war ich 1998 mit zarten 20 Jahren schon einmal und habe die wunderbarsten Erinnerungen an diesen eisigkalten See, neben dem wir damals unser Zelt aufschlugen und in dem wir morgens bibbernd zur „Morgendusche“ hineinsprangen.

Zunächst jedoch war ich enttäuscht: Wir fuhren viel zu weit weg von dem schönen See. Man sah ihn ja kaum! Sind wir damals nicht immer direkt am Ufer entlang? So eine Streckenplanung per GPSies mit Höhenangaben ist halt doch was anderes als einfach mit dem Finger über die Landkarte zu fahren und sich keine Mühe zu geben mit solch Details wie „Wegbeschaffenheit“ und „Höhenangaben“. Aber der See war ja bekanntlich 40 Kilometer lang und es gab noch reichlich Gelegenheit, ihn aus der Nähe zu betrachten.

Kann mal einer bitte den See ranzoomen?

Viel besser! Ist er nicht wunderschön?

Als der See endlich immer neben uns war – begann der Zauber: Er war so schön wie eh und je. Malerische Berge vor tiefem, dunklen See. Teilweise hatten die Berge ein Schneehäubchen. Wie es sich gehört in den Highlands. Ich war glücklich.

15 Jahre später – und ich bin wieder da, von wo es mich immer leise rief: die Highlands. Mein Schottland.

Zu Mittag kehrten wir ins Fährenwartehäuschen ein und plauderten mit zwei weiteren End2End-Radlern, die auch am Freitag ankommen wollen. Vielleicht trifft man sich ja wieder.

Muffingestärkt ging es dann die Berge rauf. Crianlarich war nach 90 Kilometern der erste mögliche Ausstiegspunkt. Aber das Best Western wollte uns nicht haben – ausgebucht. Pah! Wir hatten ja ohnehin noch Luft. Auffallen hätte uns sollen, dass auch wirklich die noch so kleinste Unterkunft ausgebucht war …

Auch wenn es wahrlich kein Sonnentag war – irgendwie wurden wir auch vom Regen belohnt. Genau hingucken: Das sind zwei übereinander!

Relativ einsam und sehr majestätisch: Die Straße ins Glencoe.

Ich hatte das Glencoe viel grüner in Erinnerung. Aber in gelb gefiel es mir auch.

Es war erst 17 Uhr – und so verschoben wir die Unterkunftssuche und radelten weiter. Nach 20 Kilometern erreichten wir Bridge of Orchy und kehrten für eine Tee- und Erinnerungspause ein. Auch hier war ich schon einmal. Ich machte Fotos für Matthi und jubelte ob des Wiedersehens mit altbekannten Orten.

Teatime in Bridge of Orchy.

Es ging immer weiter bergauf – bis wir endlich das Schild erreichten: Welcome to the Highlands. Und wie schon vor 15 Jahren war ich entrüstet, dass die Highlands erst hier begannen. Wo habe ich mich denn bitte gerade kilometerlang bergauf gekurbelt?

Highlands heute (2013) …

… und gestern (1998).

Und die Freude ist nach wie vor die selbe.

Highlandschild hin oder her: Fakt ist, dass es unbeschreiblich schön dort oben war! Die Berge um uns herum wurden immer größer und kamen uns immer näher. Es war so majestätisch und erhaben, dass man anhalten und niederknien hätte wollen. Ewig, ewig hätte ich auf dieser Straße weiterfahren können und hätte mich nie satt gesehen.

Ewig, ewig, tröpfelte auch immer mal wieder der Regen. Als wir dann jedoch um eine Kurve fuhren und hinter einem Berg hervorkamen, trafen wir unseren wahren Feind: Wind. Sehr stark. Wir kämpften, kämpften, kämpften und traten in die Pedale, was das Zeug hält. Immer wieder Regen. Und Regenbögen. Es war gleichzeitig schön und deutlich beängstigend. Wir hatten es nicht mehr so weit, aber das Wetter sah nicht gut aus.

Regen, Sonne, Schnee. Der Berg zeigt uns, wo der Hammer hängt.

Wir pedalten an einem umgekippten Laster vorbei. Vermutlich lag der schon länger dort. Aber in dem Moment war ich nicht sicher, ob nicht doch der Wind seine Finger im Spiel hatte …

Weiter volle Konzentration aufs Radfahren. Der Wind kam in Böen und unberechenbar von allen Seiten. Da musste das Caad gehörig bei den Hörnern gepackt werden. Als es mich dann von der Seite bis zur Mittellinie drückte ohne dass ich etwas dagegen tun konnte, bremste ich panisch. In die Gegenspur wollte ich nun wirklich nicht mit dem Rad. Ich schub Ross und Reiter schnell wieder an den Rand zurück und sah mich nach der Liebe um. Weg. Sie war nicht mehr hinter mir!

Kurz setzte mein Herz aus. Hatte ich ihn verloren? War etwas passiert? Da winkte es mir aus dem Graben neben der Straße zu. Ihn hatte es über die Mittellinie hinausgedrückt und auf der anderen Straßenseite in den Graben. Gut war, dass er wieder da war. Aber ansonsten sah das alles nicht gut aus für uns.

Ich blickte nach vorn. Es konnte wirklich nicht mehr weit sein bis Glencoe, zehn Kilometer vielleicht. Aber man sah in der Ferne, dass unsere Straße noch eine Weile bergauf ging. Das hieß, weiter Wind und Kälte. Ich hatte Angst. Wenn ich mein Rad nicht mehr beherrschen kann und es stürmt und außerdem würde es bald dämmern – dann wollte ich nicht weiter. Zum Glück waren wir vor 100 Metern an einem kleinen Hotel vorbeigekommen, wohin wir nun zurückkehrten: Das Kings House Hotel.

Übernachten konnten wir da nicht, so viel wussten wir schon vorher. Ausgebucht. Aber hier auf der Straße rumstehen ging auch nicht. Wir betraten also völlig durchgefroren das Hotel – und es erwartete uns wärmste Pubatmosphäre: Laute Gespräche, Kamin und überall Whisky und Whisky-Verkostungen. Wir waren sofort traurig, dass wir in diesem Ur-Pub aus dem 17. Jahrhundert nicht über Nacht bleiben konnten. Die Liebe vor allem wegen der Atmosphäre. Ich vor allem, weil meine Kräfte alle waren. Der Pub-Junge rief uns ein Taxi. Das dauerte natürlich eine Weile, bis es hier oben war. Und so pflanzte ich die fest gefrorenen Gliedmaßen vor den Kamin und nuckelte am heißen Tee.

Schluss mit lustig: Man gebe mir eine Decke und eine Tasse Tee und lasse mich in Ruhe für den Rest des Abends!

Arschkalt in den Highlands.

Irgendwann kam das Taxi und wir durften die Räder einladen und es ging die letzten zehn Kilometer im Schnelldurchlauf durch die Highlands. Es fühlte sich furchtbar an! Denn natürlich war das, was an unserem Taxifenster vorbeisauste, Schönheit pur. Am liebsten wäre ich direkt wieder rausgesprungen aus dem Taxi und aufs Rad gestiegen. Aber das war natürlich Schwachsinn. Ich war noch weit entfernt davon, wieder aufgetaut zu sein.

Zu allem Übel setzte nun auch die Dämmerung ein und die Elche kamen die Hänge hinunter – bis ganz dicht an die Straße heran. Was hätte ich für schöne Bilder machen können! Ich war den Tränen nahe. Warum gerade heute so ein Wetter? Warum gerade auf unserer Königsetappe?

Das Ende vom Lied: Ankunft mit dem Taxi in Glencoe.

Wir checkten kurz vor 21 Uhr im Hotel ein, waren die letzten Gäste im Restaurant. Da der Koch schon längst weg war (natürlich!), erbarmte sich der diensthabende Barmann. Er schmierte uns eigenhändig ein paar Sandwiches und stellte uns unaufgefordert Tee für umme hin. Er war wirklich begeistert von unserer Leistung und hat uns wohl unser Elend angesehen. Den heißen Tee hätten wir uns wirklich verdient, sagte er.

Fanden wir auch.

Tee, Apfelsaft und Siegbier. Obwohl es sich noch immer nicht wie ein Sieg anfühlte. Aber zumindest wurde uns wieder warm. Ist ja auch schon was.

Fazit: Die schönste, schwerste und frustrierendste Etappe: die Highlands. Aber vielleicht ist das das Geheimnis des Glencoe: Es macht, dass man immer wieder zurückkommen möchte. Nie bin ich ganz fertig mit diesem Ort. Unfinished business …

Unterkunft
The Isle of Glencoe Hotel & Leisure Centre
Glencoe
Highlands
PH49 4HL

Unterwegs
Fährenwartehäuschen mit Muffins
Bridge of Orchy Hotel and Café
Kings House Hotel and Inn

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