Donnerstag, 17. Mai 2007

Er, sie, es, wir Siegen.

Es war kurz vor 18 Uhr als sie im Büro saß und er die Geschichte von dem Herzchen las. Es war einer dieser Tage, an denen er darauf wartete, dass endlich etwas passierte und sie darauf, dass endlich einmal die Welt stehen blieb.

Es war kurz vor 19 Uhr als er ihr schrieb, dass sie recht gehabt hatte und zu erklären versuchte, warum er damals plötzlich weg war. Er brauchte nur fünf Sätze, um die vergangenen Monate zusammenzufassen. Und nur drei, um den Moment zu beschreiben als ein Wort alle Entfernung wegwischte.

Es war 19 Uhr 14 als er sagte: „Und dann war ich wieder da. Dann war ich wieder bei dir.“ Sie saß im Büro und wusste nicht, wie sie das mit den Tränen stoppen sollte.

Es war kurz vor 20 Uhr als die Angst begann. Sie radelte durch den Feierabend der Stadt nach Hause und von hinten schlich sich der Gedanke an, sie würden einander wieder verlieren. So hauchdünn war das, was sie hatten. Erst tippte ihr der Gedanke nur auf die Schulter. Dann zerrte er an ihrer Jacke. Dann riss er sie vom Rad.

Kurz vor 22 Uhr hatte sie die Nase voll. Sie drehte sich um und ohrfeigte die quengelnde Angst. Für einen Moment herrschte erschrockene Stille. Sie nutzte diesen kurzen Moment um nachzudenken. Als die Angst wieder zu sich kam und von Neuem begann, hatte sie sich schon entschieden. Es war Zeit, zu ihm zu fahren.

Es war kurz vor 23 Uhr als sie zu telefonieren begannen. Zu diskutieren. Verbindungen für die Nacht zu suchen. Preise zu checken. Über Preise zu erschrecken. Alles zu verwerfen. Und wieder zu diskutieren.

Es war kurz nach Mitternacht als sie sich überzeugen ließ, nichts zu überstürzen. Sie trugen einen Termin für ein gemeinsames Wochenende in einem Monat in ihre Kalender. So sahen Kompromisse aus.

Sie sind beide keine Kompromissmenschen. Eine halbe Stunde später buchte sie ein Ticket, schlief noch drei Stunden und saß nachts um 4 in einem Zug, der in seine Stadt fuhr. Der Tag erwachte rot über schlafenden Feldern. Immer, wenn sie die Augen öffnete, war eine halbe Stunde vergangen, die Sonne stand ein bisschen höher und war ein bisschen wärmer. Zehn halbe Stunden später saß sie in einem kleinen Café an einer kleinen Straße in einer noch verschlafenen Stadt. Die heiße Schokolade gab es mit Zimt, das Croissant mit Marmelade und die Brötchen mit Nutella. Alles zusammen - mit ihm.
***
Ich könnte jetzt schreiben, „Das war so ein schöner Tag.“ Aber das würde nicht beschreiben, wie wohl ich mich gefühlt habe. Und es würde nichts darüber aussagen, wie viel Spaß ich hatte. Und es würde auch nicht die Ruhe widerspiegeln, die ich empfand.

Manchmal frage ich mich, warum er mir vertraut. Und warum ich ihm. Manchmal ergab es keinen Sinn, dass ich mit ihm sprach als hätte ich nie etwas anderes getan und gleichzeitig hatte ich mich noch nicht einmal an die Bewegungen seiner Hände beim Reden gewöhnt.

Ich möchte wissen, warum das funktioniert. Zunächst waren es Illusionen, ja. Aber warum funktionieren diese immer noch? – Obwohl wir sie Stück für Stück ersetzen? Aber vielleicht muss ich das Warum gar nicht wissen. Vielleicht reicht es einfach, dass es so ist.

Manchmal hatte ich Angst, ich würde ihm Zeit rauben. Und er könnte seine Zeit besser nutzen als mit mir. Aber ich habe den Gedanken immer wieder weggeschoben – es hätte nur den perfekten Tag verdunkelt. Wozu das?

Ich habe mir seinen Freund Oel anders vorgestellt. Ganz anders. Er war gleichzeitig so ruhig und so direkt. In der Art, wie er einen ansieht, fühlt man sich aufgehoben. Und er sieht einen oft an. Wenn er lacht, sieht er einem so tief in die Augen, dass man für einen Moment erschrickt und sich fragt, was er wohl dort findet.

Ich weiß nicht, was die beiden verbindet. Sie sind wie der Wind und der Ozean. Aber etwas muss sie auf jeden Fall verbinden – denn ich mag sie beide.

„Das passt ja. Schön, dass ihr euch kennen lernt. Ich hatte schon überlegt, ob ich Oel anrufe, sodass wir alle zusammen frühstücken können.“

Ich habe mich irgendwie beschützt gefühlt, wenn die beiden um mich herum waren.

Wir standen da und er erzählte mir davon, was er mal geträumt hatte. Und ich brauchte eine Weile bevor ich zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden konnte.

Manchmal haben sich unsere Blicke getroffen. Dann verweilten wir aufeinander und lachten uns an. In seinen Augen habe ich meinen Mut getankt. Das war wie zu Hause ankommen.

„Ich weiß nicht, ob es dir hilft, aber ich bin nicht zurückgekommen, weil es mir schlecht ging. Ich bin zurückgekommen, weil ich es konnte.“

„Naja, gut ist doch aber, dass ich zumindest die ganze Zeit wusste, dass du kein Arschloch warst, sondern dass es andere Gründe dafür gab, dass du weg warst.“
„Doch – ich war ein Arschloch.“
„Nein!“
„Doch!“
„Ok. Du warst ein Arschloch.“

„Von ihr kam nie irgend etwas.“
„Was hätte denn von ihr kommen sollen?“
„Zum Beispiel, dass sie einfach in einen Zug steigt und da ist.“

„Sie war eifersüchtig, weil wir so eine enge Beziehung hatten. Sie hatte Angst vor dir.“

„Das war ein schlechter Tausch.“
„Was?“
„Na den Kontakt zu dir abzubrechen, weil sie das wollte.“

„Manchmal erschrecke ich mich, wie nah wir uns plötzlich sind. Ich wünschte, wir würden weniger oft dieselben Dinge sagen.“
„Ich habe mich nie erschrocken. Ich fand es immer nur beeindruckend.“

„Manchmal wünschte ich, ich könnte dich einfach aus meinen Leben streichen – weil ich die Distanz nicht hinbekomme.“
[...]
„Ich möchte, dass du da bist.“
„Bin ich ja. Mehr als je zuvor.“

„Vielleicht ist es mir deshalb so leicht gefallen, dir nichts zu sagen, weil ich das Gefühl habe, dass du mich immer verstehst. Dass du ohnehin weißt, was mit mir los ist.“

„Alles in Ordnung?“
„Ja. Der Hase hat gesagt, dass ich mein Herz mitnehmen soll. Er würde nicht nach Siegen fahren und es holen. – Ich habe alles eingepackt. Mach dir um mich keine Sorgen.“

„Ich hab schon unten gesehen, wie müde du warst. Aber ich wusste nicht, wie ich das alles koordinieren sollte. Schlaf noch ein bisschen.“

„Soll ich dir noch ein Brötchen schmieren für die Fahrt?“

„Geh nicht wieder weg.“
„Nein. Das hab ich schon zu oft gemacht.“

“Hast du Zettel und Stift bei?“
„Ja. Warum? Wozu werde ich Zettel und Stift brauchen?“
„Damit du schreiben kannst. Auf der Rückfahrt. Von dem Tag.“
***
Es war kurz vor 3 als sie in ihrem Bett zu Hause einschlief. Sonnenverbrannt und seelenberuhigt.

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