Samstag, 7. April 2007

Kollisionen.

Sie saßen einander gegenüber und Marie blickte ihn über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg an. In dem fahlen Sonnenlicht sah er müde und erschöpft aus. Und sie wusste, dass auch ihr Gesicht älter aussah als sonst.

Sie hatten sich vor langer Zeit gefunden, langsam aneinander gewöhnt und tiefes Vertrauen aufgebaut.

Und doch sind sie sich immer fremd geblieben.

Im Dunst des Caféhauslichts sah er noch schöner aus als gewöhnlich. Seine Gesichtszüge wirkten weicher und das bisschen Wintersonne, das nicht vom Kunstlicht geschluckt wurde, verfing sich in seinen blonden Haaren. Seine Hände lagen auf der Zeitung, die er las. Und ihr Blick lag auf seinen Händen. Sie hätte sie gern berührt.

Seine Hände waren das erste, was ihr damals an ihm auffiel. Und noch bevor sie in sein Gesicht schaute, wusste sie bereits: Das ist kein Mann für mich. Seine Hände waren schön. Aber sie waren auch kühl. Und sie hatte nie gelernt, mit kühlen Menschen umzugehen. Sie hatte Angst vor ihnen.

Er sah auf und ihre Blicke trafen sich. Sie wusste, dass er in ihre Seele sah. Aber sie wusste auch, dass er doch nicht verstehen würde, was er dort fand. Manchmal glaubte sie, er sei ein riesiger Schwamm, der alles in sich aufsog, was er fand; was man ihm gab. Er brauchte es, um zu leben. Um zu überleben. Um nicht auszutrocknen. Aber er gab kaum etwas zurück.

Er hatte verlernt, jemandem das Gefühl zu geben, etwas Besonderes zu sein. Oder nein: Eigentlich hatte er es perfektioniert. Er hatte nur vergessen, dass sich niemand mehr ‚besonders’ fühlen kann, wenn er jedem das Gefühl des Besonderen gibt.

Marie hielt seinem fragenden Blick nicht länger stand und verlor sich stattdessen in seinen Konturen. Er war zu erschöpft, seine Frage auszusprechen und vertiefte sich wieder in seine Zeitung.

Sie wusste, sie war keine Frau für ihn. Sie wusste, dass sie Welten voneinander entfernt waren. Aber anscheinend nicht fern genug. Denn etwas überbrückte die Entfernung immer wieder mühelos, so dass ihre Seelen kollidierten. Sie hatte Angst davor, dass sie eines Tages aneinander zerbrechen würden. Denn sie kannte das Spiel und sie kannte seinen Ausgang.

Er fordert sie heraus, lockt sie an, zieht sie zu sich. Sie zögert, denn sie weiß, wer er ist und wer sie selbst ist. Sie will etwas besonderes sein und er hat diesen Status nicht zu vergeben. Doch er redet weiter auf sie ein, macht sie glauben, diesmal sei alles anders. Diesmal wär sie etwas besonderes. Diesmal hätte er alle Mauern abgelegt und würde ihr, nur ihr, vertrauen.

Sie gibt nach. Sie sinkt zu ihm. Sie vertraut ihm mit allem, was sie hat. Sie zerstört alles, was sie vorsichtig sein ließ. Alles, was sie von ihm fern hielt. Und lehnt sich zurück in die Arme dieser Ruhe, die man empfindet, wenn man sich der Zuneigung eines Menschen ganz sicher ist und weiß, dass man sie nie verlieren wird.

Und dann, dann, wenn sie am angreifbarsten ist, weil sie sich ihm ungeschützt nähert, ungeschützt die wichtigen Worte ausspricht, ungeschützt auf ihn zugeht, dann weicht er vor ihr zurück. Wo er versprach, sie aufzufangen, fällt sie ins Leere. Und sie sieht ihm an, dass es ihm unendlich leid tut, aber er kann ihr nicht einmal die Hand reichen, weil er immer noch von ihr weicht, als wäre sie die Gefahr, die er ihr einmal beschrieb und die sein Leben enden könne.

Und sie weiß, dass sie ihn verliert, wenn sie nicht wieder Abstand von ihm nimmt. Selbst zurückweicht. Die wichtigen Worte mit einem Lacher ungültig macht, als wären sie nie gesagt worden. Zurückgeht, wo sie hergekommen ist und ihn wieder aus der Ferne anlacht, ihm zuwinkt, für ihn tanzt. Und all das, was in ihr blutet, in ihr schreit und in ihr weint zum Schweigen bringt.

Erst dann, wenn ihr das gelingt, kommt er wieder näher. Glaubt wieder daran, dass sie ihm nicht weh tun wird. Und manchmal, dann, wenn alles still ist, bleibt die Welt stehen und sie kann ihm von ihren Wunden erzählen und er reibt sie mit Balsam ein und küsst sie sanft weg. Und wenn die Welt sich dann mit einem leichten Ruck wieder zu drehen beginnt, lächeln sie einander wissend an und sie aktiviert alle ihre Sicherheitssysteme von neuem, weil sie ohne ihn doch nicht sein kann und ohne die Sicherheitssysteme seine Nähe nicht überlebt.

Und er kommt ihr wieder näher. Er fordert sie heraus, lockt sie an, zieht sie zu sich.

Und sie weiß, wie es enden wird. Aber sie weiß auch, dass sie den Weg wieder gehen wird.


Sie steht auf, bezahlt ihren Kaffee und bevor sie geht, küsst sie ihn auf die Nase. Aber nicht auf die Spitze, sondern dadrüber. Da, wo der kleine Huckel ist. Fast zwischen den Augen.

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