Montag, 11. Februar 2013

Choose your battlefields.

Zwei Wege

Als ich von meinem zweiten großen Mountainbikeausflug nach Hause kam – gefrustet, blaugefleckt und viel zu müde für so ein paar Kilometer, nahm die Liebe mich in den Arm und sprach: „Der große Krieger Sun Tsun sagt: ‚Man gewinnt nicht die Schlacht. Man gewinnt vor der Schlacht. Choose your battlefield‘, Kleene.“

Ich atmete tief durch, zählte und leckte meine Wunden. Und dann entschied ich: Gut. Alles auf Anfang.

Ich hatte nicht vor, an beiden Wochenendtagen auf den kleinen Vuk zu klettern. Aber ich hatte auch das Gefühl, da würde ein innerlicher Kratzer zurückbleiben, wenn ich dem Vuk nicht wenigstens die Chance gab, die Unfallstatistik mit ein paar ungestürzten Kilometern wieder gerade zu rücken.

Also ging es auch am Sonntag in mehreren Klamottenlagen hinaus in den Winter. Ich hatte das Garmin mit der MTB1-Nordrunde eines Unbekannten gefüttert und ließ mich von dessen Wegvorgaben treiben. Es ging ein bisschen durch die alten Straßen meiner Leichtathletikkindheit: Buschallee, Weißensee, Wartenberger Weg. So weit, so langweilig. Auch als ich die Stadt hinter mir ließ, wurde der MTB1 nicht unbedingt schöner. Aber gut, ich war ja auch nicht wegen Schönheit hier, sondern wegen Sicherheit. Und auch wenn mich die kleinen Schleichwege rechts und links der Garminroute die ganze Zeit provokant anlachten, zwang ich mich, auf Kurs zu bleiben. Ich hatte ja eine Agenda. Und die sah nicht vor, nach Nase in die Pampa zu fahren, sondern die Nase zur Abwechslung mal aus der Pampe zu halten.

Nach vielen Stadtkilometern hält langsam die Natur Einzug in das Blickfeld.

Und dafür – so hatte ich mir ausgerechnet – brauchte ich eine gute Balance zwischen sicherem Asphalt und wackeligem Mountainbike-Untergrund. Und kurz bevor ich vor Langerasphaltweile vom Rad gekippt wäre, kam er auch endlich: Der erste Schnee-Eis-Matsch-Weg. Ich freute mich auf die neue Herausforderung, wegen der ich ja extra angereist war, schaltete innerlich auf Abenteuer um und … halbierte die Geschwindigkeit, verdoppelte die Angst und blinzelte den Tränenschleier weg, der sich um meine Augen legte.

Was war denn da los?

Mein Blickwinkel verringerte sich von Weitwinkel auf Nadelöhr. Und nur selten wagte ich, den Blick vom Weg zu heben, um schnell nachzusehen, ob es noch weit ist. Das musste besser werden!

Ich saß doch nicht das erste Mal auf dem Rad! Im letzten Jahr hatte ich fast 8.000 Kilometer auf zwei Rädern zurückgelegt und hier stellte ich mich plötzlich an wie eine Fünfjährige, die gerade bemerkt, dass man ihr heimlich während der Fahrt die Stützräder geklaut hatte.

Zum Glück war der Schneestreifen des Todes und der Vernichtung nur verhältnismäßig kurz. Und gerade als ich regulär mit der Schnappatmung beginnen wollte, bekam ich wieder schwarzgewalzte Sicherheit unter den Pneu.

Zwei Dinge nahm ich mit vom ersten Schneeübungstrail: 1.: Ich hatte einen Knall. Und 2.: Zumindest hatte ich überlebt. Das gab Grund zur Hoffnung.

Winterlich kalt, aber zum Glück gibts Anlass zu Hoffnung.

Ich nutzte die folgenden Straßenkilometer, um wieder ruhig und sicher zu werden – und um ein bisschen nachzudenken. Und dabei begann ich zu ahnen, warum ich so durch den Wind war: Ich war am Tag zuvor viel zu lange außerhalb meiner Comfort-Zone gefahren. Ich mochte die schmalen Singletrails und die verschneite Landschaft. Den rauen Untergrund und die Querfeldeinmentalität: als seien Wege nur dazu da, um sie zu verlassen. Aber alles zusammen – glitschige Wurzeln, Schnee und Eis, schmale, abschüssige Wege und direkt daneben wahlweise gleich Badesee (angefrostet zwar, aber würde weder Vuk noch mich tragen, wenn wir elegant in die Horizontale fallen würden) oder Abgrund (gefühlt 100 Meter tief, real vermutlich nur eine kleine Kante) und dann auch noch an den anderen dranbleiben – all das zusammen erforderte so viel Konzentration und ja, auch Überwindung, dass ich das eigentlich nur immer ein paar Minuten lang aushielt. Aber fahren-halten-fahren-halten oder alternativ wald-straße-wald-straße war irgendwie nicht vorgesehen. Wäre vielleicht auch ein bisschen zu viel gewollt. Selbst für eine Anfängerrunde …

Und während ich über all das nachdachte, wechselten sich auf MTB1 in schöner Regelmäßigkeit breite, verschneite Feldwege mit asphaltierten, sonst aber eher unbefahrenen Straßen ab. Und ganz allmählich wurden die Strecken, wo ich mich auch auf Schnee und Eis nicht verloren fühlte, länger. Und der Asphalt, den ich brauchte, um wieder Sicherheit auf dem Rad zu erlangen, weniger. Selbst der tränenverschleierte Blick an jedem Schneeweganfang ließ irgendwann nach.

Auch Anfänger gewöhnen sich an den Schnee. Und der kleine Vuk sowieso.

Und noch etwas änderte sich: Ich konnte den Blick vom Boden heben. Ich nahm wieder viel mehr um mich herum wahr. Ich ließ den Blick schweifen über die Felder, an denen ich vorbeifuhr; sah die Sümpfe, die eine dünne Eisschicht gebildet hatten und auf denen die Schneeflocken als Eiskristalle liegen blieben; ich entdeckte den schmalen Weg in den Wald hinein, der so dunkel war als würde man den Hausflur eines alten, knarzenden Hauses betreten.

Eiskristalle. Und ich hab sie entdeckt!

Ich mag nicht den weitesten Lichtkegel haben, wenn ich versuche, meine Umgebung wahrzunehmen. Aber ein paar Dinge sehe ich eben doch. Und die fehlten mir am Tag zuvor. Nicht, dass sie nicht da waren. Im Gegenteil. Ich glaube, der Mountainbiketrail quer durch den Wald war um Längen schöner als mein selbstgewählter Feldweg-Übungstrail. Nur nutzte mir das nichts. Ich nahm nur Weg, die anderen, Wurzeln und See wahr. Und wenn wir von einem breiteren, erholsameren, weniger vereiswurzelten Feldweg wieder zurück in den Wald über Stock und Stein scherten, fragte ich mich immer nur: ‚Was war denn jetzt mit dem Feldweg verkehrt?‘ Und niemals: ‚Wo führt uns der kleine Weg hin?‘

Mich führte er auf jeden Fall nach drei Vierteln der Strecke direkt in einen weiteren Vuk-Sturz. (Memo an mich: nächstes Mal wieder ein Rad ohne Carbonrahmen. Ist besser.) Ich habe keine Ahnung, worüber der Vuk da eigentlich gestolpert ist. Es war keine Wurzel, kein Matsch, kein Nix zu sehen. Aber dennoch gehört es scheinbar zum guten Ton, der Natur möglichst nahe zu kommen. Wo man schon mal da ist. Böser, böser Wald! Während mein ‚wieder-das-Linke!‘ Knie puckerte klopfte ich mir den Dreck von der Hose (Vorsicht am Knie!), kletterte zurück auf den Vuk und tat das Einzige, was mir jetzt noch sinnvoll erschien: Die Welt hassen. Ich hasste die Wurzeln. Ich hasste den Schnee. Ich hasste das Knie, das immer nach links fiel. Ich hasste, dass es schön um mich herum war und ich es nicht sah. Ich hasste, dass die Sonne sich den ganzen Tag nicht hatte blicken lassen und zum Abend, als ich mit der Welt schon längst fertig war, plötzlich doch noch rauskam, die Verräterin!

Am allermeisten aber hasste ich, dass ich nicht Mountainbikefahren konnte.

Mit derart guter Laune zog sich also das restliche Viertel etwas. Und während die anderen sich der Sonnenfotografie hingaben, fuhr ich bis zum Ende der Einsiedelei, erblickte Zivilisation – angeschlossen durch eine breite Straße mit schwarzglänzendem, anbetungswürdig ebenem Asphalt und wusste: Hier ist mein Platz.

Der Rest ist schnell erzählt: Der Mountainbiker versuchte noch, mich zu überzeugen, aber er wusste nicht, dass ich schon eine dreiviertel Stunde vorher ausgestiegen war. Da waren der Wald und ich schon lange keine Freunde mehr. Die Rennleitung erkannte, dass ich am Ende länger bleiben würde, wenn ich jetzt ging und so brachte Micha mich zum Bahnhof. Ein Stück kam auch der Mountainbiker noch mit, drehte schließlich jedoch ab, um noch ein bisschen der Abendsonne entgegen zu fahren. Good job! Ich wusste ja, dass er noch ein bisschen fahren wollte. Und daher wollte ich, dass er fuhr.


All diese Gedanken konnte ich in Ruhe auf MTB1 zu Ende denken. Nur Schnee und Eis hier und da forderten hin und wieder meine geteilte Aufmerksamkeit. Und während ich den Vortag noch einmal so an mir vorbeiziehen ließ, wurde klar: Der Weg durchs Schneggenland war schön. Die Begleitung war toll. Das Tempo stimmte. Sogar der Schwierigkeitsgrad war eigentlich okay.

Und es war dennoch einfach nicht meine Strecke. Noch nicht. Ich muss erst noch viel lernen und viel ausprobieren, auf mich selbst hören und auf den Vuk – bevor ich auf so einem Track gelassen mitradeln kann. Und dann entfaltet er sicher auch für mich seine volle Magie.


Kalt wars!

Winter mag nicht die beste Zeit sein, um das Fahrradfahren mit breiten Reifen zu erlernen. Aber bis zu den Frühjahrsblühern kann ich ja noch ein bisschen auf leichten Strecken rumdaddeln und die ein oder andere offensichtliche Frage schon einmal klären.

Zum Beispiel die nach meiner Links-Fall-Präferenz. MTB1 hatte ich nun fast geschafft. Es ging wieder in die Stadt rein und an einer Ampel fiel es mir dann auf: Ich falle nur deshalb immer nach links, weil ich nach rechts einfach nicht fallen kann. Weil ich rechts automatisch ausklicke. Und links noch nicht. Ich falle also quasi nur halb so oft wie ich ins Rutschen gerate. ‚Das ist doch ein Anfang!,‘ dachte ich und rollte nach 72 Vuk-Kilometern unfallfrei zu Hause ein.

Da muss noch mehr gehen. Der kleine Vuk auf großer Schneereise.

Nachtrag: Bilder sagen mehr als tausend Worte: Wie ich mich derzeit noch auf dem Vuk fühle ...

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